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Verfahrensbeistand: Anwalt des Kindes

Ich habe eine Rechnung vom Gericht erhalten: 1100 Euro Gebühren für den Verfahrensbeistand für das Herausgabeverfahren im April 2021. Diese soll ich komplett allein bezahlen, da mir die Schuld für das Gerichtsverfahren gegeben wird. Der Widerwille, der sich in mir regt ist groß.

Wie kam es zu der Rechnung?

Im April 2021 sind meine beiden Töchter Julia* und Charlotte* zum ersten Mal von ihrem Vater weggelaufen. Am Ostersamstag am späten Nachmittag riefen sie mich unerwartet an – ich war gerade auf einem Spaziergang im hannoverschen Stadtwald Eilenriede, war anschließend noch mit meiner besten Freundin verabredet. Sie seien bei mir zu Hause, da sie von ihrem Vater weggelaufen seien, sie wollten nicht mehr zurück, wollten bei mir bleiben, berichteten meine Töchter mir aufgeregt und eilig am Telefon. Eine gute halbe Stunde später traf ich bei ihnen ein. Sie hatten schon ihre komplette Schleich-Pferdelandschaft im Wohnzimmer aufgebaut, spielten selig damit. Ich sagte ihnen, dass das nicht ginge, dass sie zurück zu ihrem Vater müssten. Sie weigerten sich, wollten bei mir bleiben, wünschten sich sehnlichst Ostern mit mir zu feiern, hatten einfach eine riesige Sehnsucht nach mir gehabt. Ich schloss sie in die Arme, knuddelte sie fest, kontaktierte kurze Zeit später meinen Anwalt, der zunächst, am Ostersamstag nicht erreichbar war, wollte wissen, was nun zu tun sei. 


Noch während ich überlegte was weiter zu tun war, erschien schon der Vater, war aggressiv und sauer, hatte keinerlei Verständnis für die Wünsche und Gefühle unserer Töchter. Weitere zwei Stunden später hatten wir Polizei und Jugendamt vor unserer Wohnungstür stehen. Ich ließ die Dame vom Jugendamt herein, bat die Polizisten draußen zu bleiben. Die Jugendamtsmitarbeiterin bestand darauf, Julia und Charlotte noch am selben Abend zu ihrem Vater zurückbringen zu wollen. Beide Mädchen waren völlig aufgelöst, weinten bitterlich, klammerten sich aneinander, Charlotte kaute permanent an ihren Nägeln, machte einen komplett verstörten Eindruck. Nach ca. 30-minütigem Einwirken von ihr auf die Mädchen, entschloss sie sich schließlich zu einem Gespräch mit dem Vater und letztlich konnten wir glücklicherweise eine Einigung erzielen, dass ich Charlotte und Julia am Folgetag, am Ostersonntag abends zu einer Rückkehr zu ihrem Vater motivieren würde. Da sich die Kinder auch am Folgetag vehement weigerten zurückzugehen, fasste ich den Entschluss einen Eilantrag auf Rückübertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu stellen. Mein Anwalt unterstütze mich darin und schrieb noch am Ostermontag den Antrag sowie mehrere Schutzschriften, dass keine gewaltsame Herausnahme erfolgen dürfte, ohne dass zuvor mit uns verhandelt würde.

Die Mädchen hatten dann eine sehr schöne Ferienwoche mit mir – seit anderthalb Jahren, seit sie in Obhut ihres Vaters waren, die erste Ferienwoche überhaupt mit mir – nicht durch das Gericht oder den Vater ermöglicht, sondern weil die Kinder ausgebrochen waren aus dem System, es nicht mehr ausgehalten hatten, sich an das zu halten, was ihnen durch das Gericht als dem Kindeswohl am besten entsprechend vorgeschrieben worden war. Auch die Osterfeiertage waren die ersten, die sie ihren Wünschen entsprechend nach 1,5 Jahren wieder mit mir verbringen konnten. Sie konnten bei uns im Garten Ostereier suchen, wir machten ein Osterfrühstück, holten die geliebten Rituale nach, die sie im vergangenen Jahr vermisst hatten. Ostern im vorherigen Jahr beantwortete der Vater weder das Telefon noch haben wir uns auch nur eine einzige Stunde sehen können. Auch den Muttertag, Heiligabend und Silvester hatten wir nicht miteinander verbringen können. An den Geburtstagen der Mädchen wurde uns jeweils eine Stunde unter Aufsicht zugestanden, an meinem eigenen Geburtstag ein Videotelefonat unter Aufsicht. 

Zurück zu den Gerichtskosten für den Verfahrensbeistand: der Verfahrensbeistand wurde im April bestellt, weil der Vater im Folgenden einen Antrag auf eine gewaltsame Herausgabe der Kinder stellte. Hierzu wurde am 09.04.21 verhandelt. Nach den Gründen warum die Kinder weggelaufen waren, wurde in diesem Termin nicht gefragt, auch, ob der Vater womöglich seine Aufsichtspflicht verletzt haben könnte, wurde nicht im Ansatz thematisiert, es wurde einzig und allein über ca. 1,5 Stunden auf mich eingewirkt, dass die Mädchen unhinterfragt von mir dazu überzeugt werden müssten zu ihrem Vater zurückzukehren. Dass auch ich mein Vertrauensverhältnis zu den beiden riskiere, wenn ich permanent ihre Wünsche ignoriere, erscheint unerheblich. Ich bestand auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer erneuten gewaltsamen Herausgabe, wies daraufhin, dass der Wille nicht mehr ignoriert werden könne und ich die Gefahr eines erneuten Weglaufens sehe. 

Zu diesem Termin war auch der Verfahrensbeistand geladen worden. Er verbrachte ca. 2 Stunden in dem Gerichtstermin mit uns. Er bot an, im Anschluss an den Termin mit Julia und Charlotte noch einmal zu sprechen. Er wolle helfen. Er sprach dann anschließend ca. 10 Minuten mit den Mädchen auf einem Spielplatz. Sie sagten ihm, dass sie bei mir bleiben wollten, dass es ihnen gut bei mir gehe, dass sie sich bei ihrem Vater nicht wohl fühlten, es dort unordentlich sei und es Konflikte mit dem Vater gäbe. Zum ersten Mal überhaupt sprachen sie mit dem Verfahrensbeistand – in der Obhut des Vaters hatten sie zuvor stets jedes Gespräch mit ihm verweigert. Er nahm alles auf. Im Anschluss verfasste er noch einen Bericht, nahm diese Aspekte auf, beschrieb den Willen der Kinder als unstreitig und dass von einer engeren Bindung zu mir als zum Vater auszugehen sei. Hinzu fügte er diesem Bericht dann allerdings noch von ihm angenommene Gefährdungsaspekte, die bei mir liegen sollten: ich würde die Vater-Kind-Beziehung zerstören, parentifizieren, pathologisieren. Inhaltlich erklärt oder anhand konkreter Anhaltspunkte belegt wurden diese Behauptungen von ihm nicht. Meine spätere Anfrage an ihn, wie er diese Behauptungen begründe, blieb unbeantwortet – bis heute! Abschließende Empfehlung: die Kinder sollten gewaltvoll wieder zu ihrem Vater gebracht werden.

Die Stellungnahme erreichte mich dann erst eine knappe Woche später, nachdem meine Mädchen bereits mit Polizeigewalt erneut von mir getrennt worden waren – nachdem sie sich 1,5 Stunden dagegen gewehrt hatten, wurden sie letztlich von 6 Polizisten, 2 Jugendamtsmitarbeitern und einem Gerichtsvollzieher am 12.04.21 gegen 21.30 Uhr abends wieder zu ihrem Vater gebracht. 

Seit diesem Tage habe ich Charlotte nur noch insgesamt acht Stunden unter Aufsicht gesehen, seit mehr als sechs Monaten überhaupt nicht mehr. Julia, die diese Regelung, die im Namen des Kindeswohls getroffen worden war, nicht lange aushielt, lief am 08.06.21 und am 18.06.21 erneut weg und ist seit dem 18.06.21 bei mir, muss aber jeden Tag bangen, erneut mit Polizeigewalt zurückgeholt zu werden.

Zurück zum Verfahrensbeistand: Wenn man im Internet recherchiert, so stellt man fest, dass der Verfahrensbeistand auch als der Anwalt des Kindes bezeichnet wird. 

Im Münchner Kommentar heißt es:

Durch die Tätigkeit des Verfahrensbeistands soll gewährleistet werden, dass der Kindeswille, der möglicherweise weder von den Eltern noch von dem Gericht zutreffend erkannt oder formuliert wird, so authentisch wie möglich und nicht in durch andere interpretierter Form vorgetragen wird, weil dieser Wille ein essentielles Element des vom Gericht zu ermittelnden Kindeswohls ist. Dies erfordert, dass der Verfahrensbeistand, der nach Abs. 4 S. 1 das Interesse des Kindes ermitteln und im gerichtlichen Verfahren ausschließlich dieses Interesse zu vertreten hat, sich auf die persönliche Sicht des Kindes, dessen Ängste und Wünsche und insbesondere dessen Perspektive und Einstellung konzentriert und in das Verfahren einbringt.

In der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht 2012(http://www.arge-famr.org/wp-content/uploads/2019/09/ARGE_KiGa_Handout_158_64.pdf) heißt es:

Intention des Gesetzes (FamFG § 158) ist die Umsetzung der UN KRK zum Schutz des Kindes vor Willkür und zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs des Kindes als Grundrechtsträger.

In unserem Fall sagten die Kinder dem Verfahrensbeistand, sie wollen bei mir bleiben. Dieser Wille stimme auch mit den Bindungen überein, schloss der Verfahrensbeistand. Empfohlen hat er etwas anderes: eine erneute gewaltsame Trennung von mir. Nach der weiteren Anhörung am 14.07.21 bei welcher Charlotte aufgelöst und durchgehend weinend kein Wort herausbrachte, empfahl er sogar ein vollständiges Besuchsverbot der Mädchen zu mir! Begründung dafür: keine!

Wieso hat der Verfahrensbeistand in unserem Falle nicht die Interessen der Kinder zur Geltung gebracht? Wieso hat er Empfehlungen ausgesprochen, die ihrem Willen komplett zuwider laufen? Ist es unter diesen Umständen verwunderlich, dass die Mädchen nicht mit ihm sprechen wollen, wenn sie im Anschluss an ein solches Gespräch für ihre Äußerungen quasi bestraft werden? Wieso wird nicht ein anderer Verfahrensbeistand hinzugezogen, wenn er die Interessen der Kinder nicht vertritt bzw. wenn diese nicht mit ihm sprechen, da eine Vertrauensbasis ihnen offensichtlich fehlt?

Wenn man Berichtschreiben und vorheriges Aktenstudium hinzuzählt, dürfte der Verfahrensbeistand ca. einen Arbeitstag mit unserem Fall zugebracht haben. Dafür soll er nun 1100 Euro erhalten – nicht wenig Geld wie ich finde. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass er die gleiche Summe ebenso erhält, wenn er sich weitaus mehr Arbeit macht – er wird nicht nach Stunden abgerechnet, sondern erhält eine Pauschale. Außerdem muss man wissen, dass es dem jeweiligen Richter obliegt, einen geeigneten Verfahrensbeistand auszuwählen. Der Verfahrensbeistand ist also abhängig davon, dass ein Richter ihn erneut auswählt. Der Anreiz ist meiner Ansicht nach hoch, sich so zu verhalten, wie es der Richter wünscht um sich auch Folgeaufträge zu sichern. Die Kinder, deren Interessen er vertreten soll, haben keinen Einfluss darauf, welcher Verfahrensbeistand sie vertritt. 

Die Problematik mit möglichen Interessenskonflikten von Verfahrensbeiständen berichtet auch Carola Wilcke in diesem aktuellen Zeitungsbericht:

https://www.fr.de/rhein-main/darmstadt/verdacht-der-misshandlung-mutter-kaempft-um-ihr-kind-91181668.html?fbclid=IwAR3HilJmqYI8kPkliNEb4fsKxx8WBTcx2ylFuepqyG-hKsI0py0UsQBPzHQ

Ich für meinen Teil habe nun die Konsequenz daraus gezogen, für das derzeitige Verfahren zur Einstellung der Zwangsvollstreckung gegenüber Julia und zur erneuten Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf mich den Wechsel des Verfahrensbeistands zu beantragen. Ob dem entsprochen wird, liegt jedoch wie immer im Ermessen des Gerichts.


* Namen geändert

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